Salon Social
Der seit dem Jahre 2009 nunmehr 7. Salon Social - einem Format, bei dem es gilt, sich der Erfolge gemeinschaftlichen Wirkens innerhalb der Sächsischen Jugendhilfe bewusst zu werden und dies in einem angemessen feierlichen Rahmen zu begehen - stand unter dem Motto der „Halluzinationen auf hohem Niveau“. Es galt, sich der Entwicklungen von 30 Jahre der Jugendhilfe in Sachsen nach dem KJHG seitens der Verwaltung, der Praxis sowie der Theorie exemplarisch bewusst zu machen. Die Veranstalterin, die AGJF Sachsen e. V., durfte dazu ca. 60 Gäste begrüßen.
Bernd Heidenreich als stellvertretender Leiter des Landesjugendamtes Sachsen gewährte einen interessanten und unterhaltsamen Einblick in die 30-jährige Geschichte der jugendhilferelevanten Verwaltung. Sein Vortrag war geprägt von starken Brüchen in der Ausrichtung der sächsischen Jugendhilfe und gleich zu Beginn stellte er fest, dass das Motto des Salon Social und das Thema seines Impulsvortrags wie die Faust aufs Auge passen, denn „Menschen mit Halluzinationen sehen Dinge, die nicht vorhanden sind – und das passt auch auf die letzten 30 Jahre Jugendhilfe in Sachsen“. Diese Geschichte startete mit einer Verbindung, die trotz der vielen Umbrüche seit 30 Jahren stabil geblieben ist: Die AGJF Sachsen und das Landesjugendamt wurden quasi zeitgleich innerhalb von drei Monaten Ende 1990/Anfang 1991 gegründet. Seitdem sind beide Institutionen einander verbunden. Die darauf folgende „Piratenzeit“ in den 1990ern war geprägt von Visionär*innen und einem sehr lebendigen Fachaustausch. Eine erste große Veränderung war die Kompetenzverschiebung in Richtung kommunaler Ebene ab 2002. Ein weiterer Schritt war die Veränderung der Rolle des Landesjugendamts Ende der 2000er, das fortan die Fachaufsicht übernahm und damit ein neues Standing als fachlicher Unterstützer der sächsischen Jugendarbeit bekam. Als letzter großer Einschnitt erfolgten 2010 die massiven Kürzungen in der Jugendarbeit.
Neben der Chronologie der Ereignisse erzählte Bernd Heidenreich auch ausführlich von den Erfolgsgeschichten aus 30 Jahren sächsischer Jugendarbeit, denn Sachsen ist bundesweit Vorreiter in Sachen Innovationen in der Jugendsozialarbeit. Dazu zählt die Gründung einer Fachstelle für mobile Jugendarbeit in den 1990er Jahren, sowie weiterer Fachstellen zu den Themen internationale Jugendarbeit, sexuelle Grenzverletzungen und anderen. Ein weiterer Meilenstein war die Erstellung des ersten Sozialstrukturatlas im Jahr 2002, der bundesweit ein Novum war und bis heute die Grundlage für die Planung der Jugendhilfeplanung bildete. Als besonders gelungen hob er hervor, dass die Jugendarbeit als tragendes Element von Soziokultur verankert ist, die in dieser Form bundesweit ihresgleichen sucht. Eine Errungenschaft, die Herr Heidenreich mehrfach in seinen Ausführungen erwähnt, ist Sachsens Fachmagazin für Kinder- und Jugendarbeit CORAX, welches die Arbeit und das Engagement der Fachkräfte in der sächsischen Jugendhilfe seit knapp 30 Jahren fachjournalistisch kritisch begleitet.
Die Wortmeldungen aus dem Publikum beschäftigten sich ausführlich mit der Kommunikation zwischen Verwaltung und Fachkräften auf verschiedenen Ebenen. So wurde die Stärkung des Fachdiskurses angeregt. Zudem waren sich beide Seiten einig, dass sie zukünftig ihre Verständigung auf Augenhöhe stärken wollen.
Für den zweiten Impuls des Tages – den Blick auf 30 Jahre Jugendhilfe in Sachsen aus der Perspektive der Praxis - betrat Tilo Moritz die „Bühne“ und leitete mit der (Erfolgs)Geschichte des Valtenbergwichtel e.V. durch drei Dekaden des Aufbaus, Wandels und der Entwicklung der Kinder- und Jugendhilfe in Sachsen. Um die Möglichkeiten zu nutzen und neuer Wege zu gehen bedurfte es in den 90er Jahren zunächst der Aus- und Umgestaltung des Raumes, um Jugendkulturarbeit leisten zu können. Nach erfolgreicher Ergänzung der „Hülle“ stand der fachlichen Weiterentwicklung in weitere Arbeitsbereiche, wie der Mobilen Jugendarbeit und der Schulsozialarbeit, Nichts entgegen. Dabei schaffte und schafft auch heute noch eine Verankerung im Gemeinwesen Sichtbarkeit und Anerkennung sowie eine starke Basis, um Hürden überwinden zu können. Andere Einschnitte, wie Krisen und Kürzungen bedurften eines Perspektivwechsels, z.B. durch einen Fachkräfteaustausch, um die eigene Arbeit neu bewerten und „frisch ans Werk“ gehen zu können. Stetig erweiterten die Valtenbergwichtel ihr Angebot und nutzten Verknüpfungen, um neue Arbeitsbereiche zu erschließen und zu bestärken, so die Mehrgenerationenarbeit oder den Jugendtourismus in der Oberlausitz. Ebenso können junge Menschen über den Verein in unterschiedlichen Einsatzstellen in den Landkreisen Bautzen und Görlitz seit 2012 ein Freiwilliges ökologisches Jahr absolvieren.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche Erfolgsgeschichten mit jungen Menschen, wie z.B. dem Jugendbeirat im Verein, sagt Tilo Moritz und beschreibt eine große Dankbarkeit, Dinge für und mit jungen Menschen bewegen zu können und dürfen.
Nach der rund 30 jährigen „Windstille“ in den umfassenden Theorien der Jugendarbeit, lud Prof. Dr. Werner Lindner die Fachkräfte zu einem fragenden Austausch zu seiner neuen, bisher unveröffentlichten Theorie der Kinder-und Jugendarbeit ein.
Präsentation von Prof. Dr. Werner Lindner
Angesichts einer sich wandelnden Jugendarbeit bedarf es einerseits ebenso den Wandel entsprechender Theorien. Andererseits sollte eine neue Theorie gerade diese Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit der Jugendarbeit systematisieren können und die Jugendarbeit somit dem Verdacht einer irgendwie gearteten Beliebigkeit entreißen. In seinem Impuls erläuterte Prof. Lindner dabei Verknüpfungen aktueller Paradigmen bzw. Teiltheorien und deren Stärken entgegen einer großen „Monotheorie“. Die Präsentation stellen wir nachfolgend zur Verfügung, eine Publikation seiner neuen Theorie der Kinder- und Jugendarbeit wird voraussichtlich im Herbst 2020 erscheinen.
Impressionen des Salon Social 2020
Zu unserem sechsten Salon Social stand ein wertschätzender und intelligenter humoristischer Blick auf unsere Berufsgruppe im Mittelpunkt der Begegnungen. Gerade in turbulenten Zeiten sind das wichtige Qualitäten zur Bewahrung der Selbstwirksamkeit.
Im Salon initiiert die AGJF Sachsen jährlich diese besonderen Begegnungen, um die Profession sowie die Fachkräfte anders als gewohnt, feiern zu können. Humorvolle und (selbst-) kritische Auseinandersetzung fallen in einer außergewöhnlich kreativen Atmosphäre leicht und können zu Samen in einem nährenden Entwicklungsboden werden.
So hat der Salon Social mit der Bühnenpräsenz der anderen Art durch die wunderbare Entertainer*in Anna Mateur beeindruckt. Sie bot musikalische Untermalung und kritisch-sarkastische Auseinandersetzung mit den Verhaltensweisen Erwachsener im Umgang mit Kindern und Jugendlichen.
Prof*in. C. W. Müller las aus seinem sozialpädagogischen Brevier. Prof*in. Dr*in. Armin Wöhrle hielt aus Sicht von Ausbildung und Wissenschaft eine Laudatio auf die Profession Soziale Arbeit. Die Präsentation ist zum Nachlesen als Download verfügbar:
In diesem Jahr nutzten wir dazu ein mit viel kreativer Kraft, Engagement, Kompetenz und Optimismus gepflügtes Feld: Das Festival »Fuego a la isla«, welches zum elften Mal auf der Chemnitzer Schloßteichinsel stattfand. Beide Veranstalter*innen vereint ein lustvoll motivierendes Ziel: ein kreativ-alternatives Programm abseits gewohnter Pfade zu entwickeln, das die Verbindung von Menschen mit ihren verschiedenen Lebensvorstellungen in den Vordergrund stellt.
Für das gute Ambiente und die anregenden Inhalte und Diskussionen möchten wir uns bei allen Beteiligten, Referent*innen und Teilnehmer*innen bedanken.