Demokrat*innen von Anfang an

Neues Land, neue Begegnungen, neue Chancen. Junge Geflüchtete kommen in den Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit an. Sie sind motiviert, sich so schnell wie möglich die weitgehend fremde Umwelt anzueignen. Dies ist allein schwer zu erreichen. Trotz der Integrationsbemühungen in Schulen, Ausbildungen und Berufen, finden sich häufig Ehrenamtliche in der Aufgabe wieder, die gesellschaftliche und soziale Integration voranzutreiben.

Hier kommen die Aufgaben und Potentiale der Kinder- und Jugendarbeit zum Tragen. Sie kann geflüchtete Kinder und Jugendliche nicht nur dabei unterstützen, in den Alltag integriert zu werden, sie ist auch in der Lage, diese schrittweise an die Teilhabe und die demokratischen Prozesse heranzuführen und zu zeigen, welche Freiheiten und Verantwortungen zur Selbstbestimmung offen stehen. Das im Januar 2019 gestartete Projekt „Demokrat*innen von Anfang an“ verknüpft Ansätze des Empowerments mit migrationspädagogischen, demokratiebildenden Maßnahmen. Es fokussiert eine partizipative, diversitätsbewusste und demokratiefördernde Arbeit mit jungen Menschen zwischen acht und 27 Jahren.

Zielsetzung

Ziel des von der Robert-Bosch-Stiftung finanzierten Projekts ist es, geflüchteten wie auch nicht geflüchteten Jugendlichen Zugang zu politischer Teilhabe zu ermöglichen. Die Kinder- und Jugendarbeit wird dabei als „Lernort für Demokratie“ verstanden, der für die Vermittlung von Erfahrungen an Teilhabe, Selbstwirksamkeit und Verantwortungsübernahme fungiert.
Die Jugendlichen werden ermutigt ihre eigenen Ideen und Fähigkeiten innerhalb der Einrichtungen einzubringen. Sie „üben“ auf dieser Ebene, Interessen zu vertreten, Kompromisse auszuhandeln und Ideen gemeinsam umzusetzen. In der zweiten Phase wird eine Einbindung in Entscheidungsstrukturen der Einrichtungen erfolgen (etwa in Jugendhausversammlungen, Beiräten etc.). Zuletzt sollen diese Mitbestimmungsprozesse über die Einrichtung hinaus ins Gemeinwesen erweitert werden.
Gleichzeitig werden Jugendarbeiter*innen unterstützt, Aktivitäten zu erproben, die sie für die Umsetzung demokratischer Bildung mit geflüchteten jungen Menschen in diesem Setting benötigen. Hierfür werden in Workshops, Fortbildungen und Fachveranstaltungen an verschiedenen Standorten Konzepte erarbeitet, die den Umgang mit Betroffenen von Rassismus und die Inklusion in Einrichtungen professionell erleichtern soll.

Projektgestaltung

Am Projekt beteiligt sind vier sächsische Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Ihnen obliegt die inhaltliche Ausgestaltung der Projekte.

Der Offene Treff für Kinder- und Jugendliche „50° NordOst“ in Leipzig öffnete erst kurz vor Projektbeginn nach zweijähriger Schließung erneut. Die neu sanierten Räume bieten Gestaltungsmöglichkeiten, die von den Kindern und Jugendlichen vielfältig genutzt werden. In unmittelbarer Nähe des Treffs befindet sich eine Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete. Projektziel ist es, gemeinsame Aktionen mit den Geflüchteten zu initiieren und eventuell vorhandene Ressentiments und Vorurteile abzubauen. Die Zusammenarbeit mit der Unterkunft erweist sich als überaus erfolgreich. Über zwei Monate hinweg bauten die Besucher*innen des Freizeittreffs beispielsweise gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen aus der Gemeinschaftsunterkunft ein Boot, mit dem sie am „Wasserfest Thekla am See“ teilnahmen.

Der Offene Treff für Kinder- und Jugendliche „50° NordOst“
Teilnahme der Einrichtung am Theklaer Wasserfest

Im Chemnitzer Kinder- und Jugendklub „El-Zwo“ werden Partizipationsformen durch einen Klubrat eingeübt. Er wird von den Kindern und Jugendlichen als Aushandlungs- und Mitbestimmungsinstanz verstanden und genutzt. Über Strichlisten und Abstimmungen wird regelmäßig das Monats- und Ferienprogramm bestimmt. Im Laufe des Projekts wurden Vorsitzende gewählt, Protokolle erstellt und Planung der Ferienprogramme aktiv mitgestaltet. Seit dem November 2019 bietet das „El-Zwo“ zudem einmal im Monat ein Anti-Gewalt-Training an, was vor allem von männlichen Kindern und Jugendlichen genutzt wird. Geflüchtete wie auch nicht geflüchtete Mädchen werden innerhalb des Projekts durch einen Nähkurs erreicht.

Das Kinder- und Jugendhaus „Substanz“ in Chemnitz bietet täglich vielseitige Angebote. Die Arbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen fokussiert das Aufzeigen von Diversität und versucht Begegnungen durch gemeinsame Ausflüge oder Übernachtungen zu schaffen. Jeden Dienstag wird in der Substanz gekocht. Eine Idee ist es,  mit den Kindern und Jugendlichen ein gemeinsames Kochbuch mit internationalen Gerichten zu erstellen. Über eine im Eingangsbereich platzierte „Wunsch- und Kritikbox“ können die Kinder und Jugendlichen zudem Vorschläge und Ideen äußern und sich so partizipativ bei der Gestaltung und Planung von Räumen und Aktionen mit einbringen.

Seit November 2019 ist auch das „Freizeitzentrum“ in Borna Teil des Projekts. Durch die intensive Zusammenarbeit mit dem Verein Bon Courage gelang es einen intensiven Kontakt zu geflüchteten Familien in Borna aufzubauen. Die Projektaktivitäten werden regelmäßig auf dem eigenen YouTube-Kanal des Freizeitzentrums „Schüler TV“ von den Kindern und Jugendlichen  dokumentiert.

Kooperation mit der AGJF Baden-Württemberg

Das Projekt wird mit demselben Konzept ebenfalls in Baden-Württemberg durchgeführt, hier von der AGJF Baden-Württemberg. Beide Projekte werden wissenschaftlich von der PH Freiburg begleitet.

Von der gleichzeitigen Durchführung der Projekte in Baden-Württemberg und Sachsen und deren wissenschaftliche Begleitung versprechen wir uns interessante Erkenntnisse. Da sich beispielsweise die Stammbesucher*innen der Einrichtungen in Baden-Württemberg von denen in Sachsen zum Teil deutlich unterscheiden, sind wir sehr gespannt darauf, wie sich die unterschiedlichen Voraussetzungen auf die Projektverläufe auswirken und welche Gemeinsamkeiten sich entdecken lassen.  

Das Projekt ist eine Neuheit. Bislang wird die Arbeit mit jungen Geflüchteten häufig auf die Integration in schulische oder berufliche Felder reduziert. Dass auch sie Teil unserer Demokratie sind, Beteiligungsmöglichkeiten brauchen und Interessen haben wird bei der aktuell geführten Abwehr- und Abwertungsdebatte oft ausgeblendet. Ziel des Projektes ist es, Demokratieerfahrungen im „Kleinen“, nämlich im offenen Betrieb von Jugendhäusern, entstehen zu lassen.


Projektlaufzeit ➜ Januar 2019 bis August 2020

Kooperationspartner*innen ➜ Pädagogische Hochschule Freiburg, Leiter des Instituts für Soziologie: Prof. Dr. habil. Albert Scherr und AGJF Baden-Württemberg e. V.

Ansprechpartner*in ➜ Eine Weiterarbeit zum Thema erfolgt im Projekt connect - Jugendhilfe migrationssensibel und menschenrechtsorientiert gestalten.


gefördert von